Mit dem Gastspiel des fast 200 Jahre alten Büchner-Stücks „Woyzeck“ landet das Theater Essen Süd in der Gegenwart der GymBo-Schüler/innen

Woyzeck – ziemlich bedauernswerter Typ. Hört Stimmen, sieht schlecht aus, wird vom aufgeblasenen Hauptmann gedemütigt und vom monströsen Doktor für Experimente missbraucht.  Unterbezahlt, unterernährt wie er ist, wird ihm dann auch noch die Freundin Marie untreu. Beim coolen Tambourmajor glaubt sie die Zuwendung und Anerkennung zu finden, die Woyzeck niemandem - noch nicht mal sich selbst - zukommen lassen kann. Schwierige Situation, also, die das dreiköpfige Ensemble des Theaters Essen Süd den Schüler/innen der Qualifikationsphase in seiner ganzen schauspielerischen Bandbreite - laut und leise, prollig und dezent, zitternd und entspannt, mit und ohne Musik – nahebrachte.      

Denn indem Woyzeck immer zwischen Täter- und Opferrolle changiert, vapend im Nebel aus Angstchimären und zugleich mit der Rasierklinge am Hals des Hauptmanns, verliert sich – typisch Büchner – die Eindeutigkeit der Zuordnung. Welche Handlungsoptionen hat Woyzeck überhaupt? Mit dem Doktor über soziale Verantwortung und den Hippokratischen Eid diskutieren? Dem Hauptmann seine Dummheit spiegeln? Mit Marie über deren Wünsche und Gefühle sprechen?

In Schillers Welt des Idealismus wäre das vielleicht möglich; doch bei Büchner, der so vieles, das uns noch heute beschäftigt, vorausgesehen hat, verliert sich die eloquente Vernünftigkeit des Einzelnen in einer Welt aus aggressiver Sozialhierarchie, Empathielosigkeit und Egoismus. Woyzeck, der zu schwach und zu feige ist, die Täter zu konfrontieren, findet sein Ventil in der häuslichen Umgebung: Ein sozialer Mechanismus, der die Jahrhunderte überdauert hat. Die Frage der Schuld umkreiste die Aufführung dann wie ein Mond seinen Planeten – ist Woyzeck, der zu Beginn dasselbe Gebrabbel preisgibt wie am Schluss, determiniert? Ist die Gesellschaft schuld oder das Individuum? Oder beide? Moderne Fragen, auf die es immer noch viele Antworten gibt; oder auch keine. 

Entsprechend interessierten sich die Schülerinnen und Schüler auch in der anschließenden Nachbesprechung für das, was die manchmal komplizierte Diktion des Textfragments überdauert – Vorausdeutungen auf den unheilvollen Ausgang des Stücks, Farbschemata zur Figurencharakterisierung, Kostüme, Platzierung von Symbolen und Szenenanordnungen. Nicht weniger Interesse hatten die angehenden Abiturientinnen und Abiturienten außerdem an den technischen Aspekten des Berufs: Wie gelingt eigentlich das eindrucksvolle Zittern der Hände? Auf welche Weise gelangt man zu diesem Berufsbild und wie realisiert man es? Was passiert eigentlich auf zwischenmenschlicher Ebene, wenn in der Nachbesprechung die vierte Wand zwischen Schauspielenden und Publikum plötzlich fällt?

So erschien nicht nur Woyzecks Problematik am Ende aktueller denn je - wie sich Gesellschaft zusammensetzt und welche Bedeutung ein konstruktiver Diskurs letztlich für soziale Beziehungen haben kann, wurde auf der Bühne und im anschließenden Gespräch sehr deutlich. Büchner, dem die Ambivalenz der Darstellung ein so zentrales Anliegen war, hätten die vielen Codes und Ebenen wohl gefallen.

 

 Raphael Batzik (Mitte) als Woyzeck und Tambourmajor
 
 Marie (rechts im Bild) wurde dargestellt von Aless Wiesemann
 
Thilo Matschke (rechts) spielte den Hauptmann, den Doktor und Andres.
 
Weitere Informationen zur Woyzeck-Inszenierung des Theater Essen-Süd
 
 

 

Text und Fotos: Sonja Klever

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